Ein Interview mit Thomas Zorbach von vm-people – Teil 1

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit entstand u.a. ein Interview mit Thomas Zorbach von vm-people. Wir unterhielten uns über Transmedia Storytelling, wirkungsvolle Verlagswerbung und die akademische Forschung.

Sind Sie mit dem aktuellen Forschungsstand in Sachen Social-Media-Marketing (insb. in Bezug auf die Buchbranche) vertraut?

In den letzten 4-5 Jahren habe ich meine Zeit fast ausschließlich der Praxis gewidmet. vm-people war ganz am Anfang einmal ein Forschungsprojekt. Ich habe damals im Jahr 2000 meine Diplomarbeit über virales Marketing geschrieben. Ich hatte dann diese abenteuerliche Idee, daraus eine Agentur zu entwickeln. Das hat dann ja auch irgendwie geklappt, aber darüber ist die Forschung ein wenig ins Hintertreffen geraten. Das Jahr 2012 ist daher für mich als Wissenschaftsjahr apostrophiert. Ich werde im März für ein halbes Jahr auf Forschungsreise gehen auf den Spuren meiner Disziplin, dem Viralen Marketing und seiner angrenzenden Felder Social Media und Transmedia Storytelling.

Lassen sich ARGs am besten mit dem Autor umsetzen? Wie eng muss kooperiert werden? Ist es etwa möglich, nur mit einem Verlag zusammen zu arbeiten, der eine Lizenz eingekauft hat oder sind ARGs zu eng an die Inhalte eines Buchs gekoppelt?

Unbedingt notwendig ist der Autor nicht, aber im Sinne des Erzählkosmos, den man erschafft, ist es natürlich schöner, ihn dabei zu haben. Sebastian Fitzek etwa ist bei unseren Projekten immer direkt eingebunden. Er hat als einer der ersten Autoren begriffen, was Transmedia Storytelling ist, obwohl er den Begriff selbst gar nicht benutzt. Die Zusammenarbeit beginnt oft bereits in einer Phase, wenn er gerade mal die erste Idee zu seinem neuen Buch im Kopf hat. Die Frage ist, wie seine Fans bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit der Geschichte in Berührung gebracht werden können. Dabei geht es aber nicht nur um Marketing. Vielmehr geht es darum, seinen Lesern ein Erlebnis zu bieten, was über die reine Lektüre des Buches hinausgeht.

Das war ja auch eine Ihrer Fragen: Kann man das, was wir machen, noch als Marketing bezeichnen?

Richtig, denn eigentlich erstellen Sie ja eigenen Content, der nur Marketingfunktionen übernimmt.

Strategisch betrachtet erstellen wir Inhalte, die in der Regel zeitlich und dramaturgisch vor der Veröffentlichung des Buchs liegen und die darauf abzielen, einen Werbeeffekt, ein Interesse, eine Art „Grundrauschen“ in Social Media zu erzeugen und damit Neugierde auf den Titel zu erwecken. Damit erfüllen wir aus Verlagssicht ein Marketingkalkül, bedienen uns dabei aber nicht mehr der üblichen Instrumente, die Verlagswerbung lange Zeit ausgemacht hat.

Sie machen keine Anzeigenwerbung, sondern Unterhaltung. Und ich denke, hier liegt ein allgemeiner Trend: Marketinginstrumente, oder besser Werbeinstrumente, müssen künftig eher dahin tendieren, selbst interessanter Content zu werden, um weiterverbreitet zu werden, die Nutzer zu „packen“.

Das kann ich nur unterschreiben. Das klassische Top-Down-Verhältnis zwischen Unternehmen und Konsumenten bzgl. Kommunikation, bzgl. etwa Marketingbotschaften, hat sich stark verändert. Ich suche immer noch nach einem angemessenen Begriff für den „Konsumenten“, der ja keiner mehr ist, weil er eben nicht mehr ausschließlich Inhalte konsumiert. Es gibt ja den Begriff „Prosument“. Den halte ich aber z.B. beim Thema Alternate Reality Games (ARG) nicht für zutreffend: hier könnte man fast von „Co-Autorenschaft“ sprechen. Die Geschichte, die wir aufspannen, wird ja zum Teil von den Teilnehmern aktiv mitgestaltet. Das führt dann wieder zu interessanten Fragen, wie es rechtlich aussieht, wenn Inhalte aus einem ARG, beispielsweise für ein eBook verwendet werden sollen, wie es bei „Cagot“ für Hoffmann und Campe der Fall war.

Die klassische Rollenverteilung löst sich auf: Die heutigen Nutzer fordern mehr und mehr ein, Teil der Geschichte zu sein, sich nicht mehr nur passiv von Marketingbotschaften berieseln zu lassen, gerade wenn es um Verlage geht. Marketing sollte partizipativ angelegt sein. Bei einem ARG ist die Partizipation der Leute sehr, sehr hoch. Partizipation ist notwendig, damit so eine Geschichte funktioniert. Das führt dazu, dass die Zahl der Leute, die bei so einem Spiel dabei sind, nicht so groß ist, wie die derjenigen, die man mit einer Anzeige erreicht. Das sorgt bei den Verlagen zunächst für Irritation, da die Verantwortlichen oft zunächst ausschließlich quantitative Messgrößen zur Bewertung von Maßnahmen heranziehen. Zum Beispiel, dass man mit einer Anzeige in der „Brigitte“ 500.000 Leute erreicht, während bei einem ARG nur 500 Leute aktiv mitspielen. Dabei werden allerdings die Wirkungsmechanismen von Social Media verkannt: Auch wenn „nur“ 500 Leute mitmachen, können sich die Werbebotschaften über deren Kanäle schnell aufaddieren und es kann eine große Kontaktzahl herauskommen, vor allem dann, wenn die Medien über die Geschichte berichten, was bei einem ARG oft vorkommt. Diese 500 Leute sind aber vor allem aus qualitativer Sicht interessant, da sie die Basis für eine aktive Fangemeinde eines Autors oder rund um einen Titel bilden. In dieser Hinsicht ist ein ARG oder allgemeiner formuliert, eine Experience zu einem Buch aufgrund seiner Intensität mit dem sich das Publikum mit einer Geschichte beschäftigt kaum zu überbieten.

Im zweiten Teil des Interviews geht es dann u.a. um die neuen Rollen, die Verlage für Kunden und Autoren übernehmen müssen und um tragfähige Geschäftsmodelle.